Deutschland: 2.500 Menschen bei Demo gegen LNG-Terminal auf Rügen

Mindestens 2.500 Menschen haben am Sonntagnachmittag auf Rügen gegen den Bau eines LNG-Terminals vor Deutschlands größter Insel demonstriert. Der geplante Bau eines Terminals für Flüssiggas (LNG) hat nach Angaben der Polizei am Sonntag rund 2.500 Kritiker zu Protesten in Baabe auf Rügen mobilisiert. Bereits am Sonnabend hatten im benachbarten Sellin rund 400 Menschen gegen das Terminal demonstriert.

Stefanie Dobelstein von der Initiative "Lebenswertes Rügen“, die zu den Veranstaltern am Sonntag gehörte, sagte, das Terminal auf See werde vom Ufer aus sichtbar sein. Vier riesige Schiffe sollen nach ihren Worten künftig dort fest vertäut liegen, "jeweils 300 Meter lang, 43 Meter breit und 50 Meter hoch". Das sei eine Industrieanlage in einem Bereich, durch den die Heringsschwärme zum Laichen in den Greifswalder Bodden zögen. Naturschutz drohe auf der Strecke zu bleiben Hinzu käme der Schiffsverkehr, um das LNG anzuliefern. "Es gibt ganz viele ungeklärte Fragen aus unserer Sicht." Der Naturschutz und die Interessen der Menschen drohten auf der Strecke zu bleiben. Dobelstein distanzierte sich von einem weiteren Aufrufer zu der Demonstration: "Wir distanzieren uns ganz klar von Rechts", betonte sie. Wichtig sei, dass die Botschaft der Menschen in der Region darunter nicht leide. Sie wollten kein LNG auf Rügen. Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: 2500-Menschen-bei-Demo-gegen-LNG-Terminal

LNG-Terminal vor Rügen: Fakten zum Großprojekt Die Pläne für das LNG-Terminal vor Rügens Küste sind gewaltig. Über vier Regasifizierungsschiffe sollen bis zu 38 Milliarden Kubikmeter Gas fließen - was laut Kritikern rechnerisch nicht möglich ist. Es gibt auch Bedenken wegen Lärmbelästigung, Umweltverschmutzung und der Gefahr von Havarien. Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer fühlte sich sichtbar unwohl in seiner Haut, als er Mitte Februar die LNG-Pläne des Bundes für das Land vorstellte. Der altgediente SPD-Politiker ist nämlich auch für den Tourismus zuständig und das Land ist Genehmigungsbehörde. Der vorgestellte Plan: Ein Terminal mit zwei Plattformen, vier bis sechs Kilometer vor Rügens Südostküste gelegen, mit insgesamt vier Anlegestellen. Hier können vier Regasifizierungsschiffe festmachen, die von vier weiteren Flüssiggastankern versorgt werden. Das Terminal soll per 38 Kilometer langer Gasleitung mit der Erdgasübernahmestation in Lubmin verbunden werden. Um Geld zu sparen, will Minister Meyer die überschüssigen Röhren der Nord-Stream-2-Leitung verbauen, die noch in Sassnitz-Mukran lagern. Bislang Transfer per Shuttle-Tanker Noch ist der Gas-Transfer viel aufwendiger. Das FSRU "Neptune" der Deutschen ReGas GmbH liegt im Hafen Lubmin. Draußen vor Rügen ankert ein LNG-Depot-Schiff, das regelmäßig von Tankern befüllt wird. Zwischen beiden Schiffen pendeln zwei Shuttle-Tanker. Die Behörden ermitteln bereits wegen Lärmbelästigung und verschmutzten Stränden. Die Schiffe stehen im Verdacht, Verursacher zu sein. Die von Minister Meyer vorgestellten Terminals mit direkter Anbindung wären sicher eine elegantere und kostengünstigere Lösung. Für das Terminal auf See skizzierte der SPD-Politiker drei Projektstufen: 1. Anlandepunkt bei Lubmin: Ein 700 Meter langer Tunnel, der unter der Küste hindurch zur Anlandestation von Nord Stream führt - ist im Bau. 2. Die Gasleitung als Verbindung von Lubmin zur künftigen Schiffsanlegeplattform vor Rügen - Genehmigungsverfahren läuft. 3. Zwei fest am Meeresgrund verankerte oder stehende Anlege-Plattformen - noch in der Projektierungsphase. Kapazitätsangaben nicht plausibel: LNG-Zahlensalat Die maximale Kapazität der kompletten Anlage soll 38 Milliarden Kubikmeter Gas betragen, so Meyer. Das entspricht ungefähr 40 Prozent des deutschen Jahresbedarfes an Erdgas oder zwei Drittel der Kapazität der Nord-Stream-1-Doppelröhre. Das ist schon rechnerisch nicht nachvollziehbar, da es nur fünf staatlich gecharterte Regasifizierungsschiffe gibt. Jedes verfügt über rund 4,5 Milliarden Kubikmeter Kapazität pro Jahr. Drei werden in der Nordsee eingesetzt (Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade). Damit bleiben zwei für die deutsche Ostsee, plus die von der privaten Firma Deutsche ReGas gecharterte "Neptune". Das ergibt eine maximale Kapazität von 13,5 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, also ein Drittel der von Minister Meyer angekündigten Menge, aber immer noch zu viel für die Rügener Bürgermeister. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: "Mit Blick auf die Einzelheiten des Vorhabens ergeben sich erhebliche Zweifel, ob Standort, Umfang und Vorhaben als Ganzes verhältnismäßig und gerechtfertigt sind." Widerstand der Gemeinden: Rügen in Rage Eine erste Entscheidung zugunsten eines Seeterminals wurde bereits im Sommer 2022 gefällt. Kurz darauf wurden ohne öffentliche Ausschreibung Fachfirmen angefragt, mit der Deutschen Marine den Meeresboden nach Altlasten zu untersuchen. Gerade wird Munition von einer Spezialfirma beseitigt, genau dort, wo das Terminal entstehen könnte. Der Baugrund, die Nähe zu Schifffahrtsrouten und ausreichend Wassertiefe werden die Kriterien für die Standortwahl gewesen sein. Die erfolgte vermutlich durch die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, allerdings ohne anliegende Gemeinden einzubinden und ohne den Tourismus zu betrachten. Ein folgenschweres Versäumnis, denn so wäre frühzeitig klar geworden, dass ein Terminal mit Tankerverkehr so dicht an der Ferienküste Südostrügens auf heftigen Widerstand stoßen würden. Die Gemeinden sind auch für die Gefahrenabwehr zuständig. Bei Havarien, angefangen bei Öl- oder Chemikalienunfällen bis hin zu Bränden oder Blackouts auf den Schiffen oder der Plattform, bleiben bei Ostwind nur wenige Minuten Reaktionszeit. Mukran als Alternative nicht angefragt Auch deshalb brachte der Selliner Bürgermeister Reinhard Liedtke die Idee ins Spiel, das LNG-Terminal ins wenige Seemeilen entfernte Mukran zu verlegen. In dem Ortsteil von Sassnitz gibt es einen Tiefwasserhafen, große ungenutzte Industrieflächen sowie Abstand zu Wohngebäuden und Hotels. Der Hafen war in den 1980er Jahren das größte Infrastrukturprojekt der DDR. Schon damals ging es um geostrategische Fragen. Der Hafen Mukran wurde errichtet, um die Sowjetunion und die DDR per Eisenbahnfähren direkt zu verbinden, beziehungsweise um das politisch unsichere Polen zu umschiffen. Noch hat im Hafen weder der Bund noch das Land die Nutzung angefragt, teilte der Hafensprecher auf Anfrage mit. Eine Prüfung von Mukran als alternativen LNG-Standort ist auch nicht Teil des laufenden Genehmigungsverfahrens. Und selbst die von Minister Meyer angekündigte Nachnutzung der restlichen Nord-Stream-Röhren erscheint fraglich. Eine Anfrage des NDR, ob die Nord Stream AG noch Pacht für die Röhren zahle, wollte der Hafensprecher nicht beantworten: "Kein Kommentar." Warum, bleibt sein Geheimnis. Dabei ist der Hafen Mukran ein öffentliches Unternehmen. Kanzler versprach "Deutschlandgeschwindigkeit" Das Bundeswirtschaftsministerium beschwichtigt und teilt dem NDR mit: "Die Planungen für Lubmin sind noch nicht abgeschlossen, Gespräche zwischen den Beteiligten laufen noch. Daher kann über Einzelheiten des Projektes noch keine Auskunft gegeben werden. In der Planungsphase werden auch immer verschiedene Optionen geprüft und gegeneinander abgewogen." Dabei hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Fragen der Versorgungssicherheit "Deutschlandgeschwindigkeit" angekündigt. Der Schweriner Minister Meyer versprach zudem volle Transparenz. Vielleicht liegt das Wirrwarr auch an der Unsicherheit über den kurz- und mittelfristigen Bedarf an LNG. Die Gasspeicher sind laut Bundesnetzagentur auch Ende Februar noch zu 71 Prozent gefüllt (22.02.2023). Der Winter war glücklicherweise mild. Allerdings sind auf Rügen die Eiswinter 1996 und 2010 nicht vergessen. Angst vor Gasknappheit im nächsten Winter ist auf der Insel durchaus da. Aber noch viel größer ist wohl die Furcht vor einer Industrieanlage auf See, die den Stränden und dem Tourismus in den mondänen Seebädern gefährlich werden könnte.   von Martin Möller, NDR Nordmagazin  LNG-Terminal vor Rügen: Fakten zum Großprojekt